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Freitag, 15. Mai 2009

Manic Street Preachers - Journal for Plague Lovers


Unsere Wertung: ****

Man muss es sich schon noch einmal auf der Zunge zergehen lassen: Vor 14 Jahren verschwand Richey Edwards, Gitarrist und Enfant Terrible der Manic Street Preachers, spurlos. Kein Hinweis, nix. Alle angeblichen Sichtungen auf Lanzarote und sonstwo haben sich nie bestätigt. Nun, eine halbe Popewigkeit später, folgt tatsächlich ein Album, das ausschließlich auf Texten von Edwards basiert.

Die Manics nehmen uns mit auf eine Zeitreise ins Jahr 1994, die für echte Fans nicht ohne Tränen abgehen dürfte. Zurück nämlich zum Referenzalbum der Band, wie es so schön heißt. Gemeint ist natürlich "The Holy Bible", diese so düstere wie tolle Platte, dem letzten Werk, an dem Richey beteiligt war, bevor er sich, Gott weiß, wohin, verabschiedete.

Schon das wunderbare Cover, ein Bild der britischen Malerin Jenny Saville, lässt Erinnerungen hochkochen. Damals stellte Saville der Band ein Triptychon mit beleibter Frau zur Verfügung. Diesmal ziert das Cover ein geschlechtlich nicht klar zuzuordnendes Menschenwesen mit offensichtlich blutverschmiertem Gesicht. Die Assoziation, es könnte sich dabei um Richey in jungen Jahren handeln, ist so abwegig nicht.

Auch das rohe Sounddesign erinnert an 1994. Einen Großteil sollen die Waliser gar live und analog eingespielt haben, ohne digitalen Schnickschnack. Schöne Songs hält die Scheibe parat: Vom rockigen "Peeled Apples" bis zum tollen "This Joke Sport Severed". Sportlich geht's auch bei "Pretension/Repulsion" zu, das gar ein wenig an die frühen Offspring gemahnt. Erstaunlich, diese Energie. Vor allem wenn man den traurigen Background des Albums bedenkt.

An die größten Manics-Songs freilich, etwa "The Everlasting" vom '98er-Album "This Is My Truth Tell Me Yours" oder "Motorcycle Emptiness" vom Debüt werden die Herren Wire und Bradfield wohl nie mehr heran reichen. Those were the days, und die lassen sich auch durch Richeys Texte nicht zurückholen. Ein zweites "The Holy Bible" ist den Walisern nicht gelungen. Und doch lässt einen diese Scheibe auch musikalisch nicht kalt.

Toll, das von Nicky Wire eingesungene "William's Last Words", bei dem der Bassist tatsächlich wie der kleine Bruder von Lou Reed klingt. Die Texte übrigens sind so kryptisch, wie man das von Richey Edwards gewohnt war. Selbst Native Speakers dürfte die Exegese schwer von der Hand gehen. "The Levi Jean has always been stronger than the uzi, a dwarf takes his cockerel out of the cockfight". Wie meinen?

Kaum weniger bescheiden die Songtitel: "Jackie Collins Existential Question Time", "Virginia State Epileptic Colony" oder auch "She Bathed Herself In A Bath Of Bleach". Letzterer der Track, der der Band zufolge am stärksten nach Nirvana riecht. Überhaupt Nirvana: Nicht nur, dass man fürs Album Produzent Steve Albini engagierte. Die Platte hält tatsächlich die ein oder andere "In Utero"-Reminiszenz bereit. Auch darüber hätte sich Richey, der als großer Cobain-Verehrer galt, sicher gefreut.

Ja, doch: Das mittlerweile neunte Album der Manics lebt vor allem von der Nostalgie, dem Erinnern, der Melancholie. Und natürlich der Trauer über einen großen Verlust. Ein Verlust, den nicht nur die Manic Street Preachers nie wirklich haben kompensieren können. Nein, auch der Popwelt insgesamt ging 1995 ein großes Talent verloren. Man sollte diese Platte als Verbeugung sehen. Eine tiefe und höchst würdevolle Verbeugung vor Richard James Edwards.

laut.de

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